Vortrag Tourismus in Kolberg

Vortrag Tourismus in Kolberg
Vortrag Tourismus in Kolberg

Aus der Perspektive eines Touristikunternehmens sowie aus einer soziologischen Perspektive hat Carsten Wolf aus Berlin sich in einem Vortrag die touristische Entwicklung in Kolberg genauer angesehen. Es entstand eine spannende Diskussion auf Grundlage von überraschenden Informationen.

Heute schreiben wir das Jahr 2017. Schaut man auf die letzten zehn Jahre, so hat sich in unserer Partnerstadt Kolobrzeg (Kolberg) an der polnischen Ostsee sehr viel verändert. In diesen zehn Jahren wurden Grundsteine für viele künftige Entwicklungen gelegt.

Carsten Wolf ist Polen-Experte und seit vielen Jahren Geschäftsführer eines auf die polnische Ostseeküste spezialisierten Reiseveranstalters. Und er ist ein genauer Beobachter all der Veränderungen, die in Kolobrzeg in den letzten Jahren offensichtlich geworden sind und auch solcher, die eher im Verborgenen vor sich gegangen sind.

Tourismus

Um 2007 waren es noch große Vorurteile, die vor allem Urlauber aus dem Westen Deutschlands abhielten, überhaupt nach Kolobrzeg zu reisen. Aber auch im Osten Deutschlands galt die polnische Ostsee nur als Billigalternative. Das hat sich geändert: Die Qualität der Hotels, das Angebot vor Ort aber auch die Preise haben sich so entwickelt, dass Kolobrzeg kaum mehr als Billigreiseziel durchgeht. Zwar urlaubt man hier immer noch günstiger als anderswo, aber die Unterschiede sind geringer geworden. Vor allem durch das Bemühen der Stadt und der Hoteliers sowie Reiseveranstalter hat sich auch die Buchungssaison deutlich verändert: Während vor zehn Jahren nur der Sommer ausgebucht war, bekommt man heute auch im Frühjahr, Herbst und zu Weihnachten und Silvester immer schwerer ein Zimmer. Das liegt unter anderem daran, dass das Schlechtwetterangebot erweitert wurde und nun auch Alternativen außerhalb der Hotels im Angebot sind.

Dass es Probleme mit der Qualität und Ausstattung sowie dem Service gab, ist heute ebenfalls passé, genau so wie es heute sehr viele Angebote auch auf Deutsch gibt. Kolobrzeg lebt vom Tourismus und auch von den deutschen Touristen; diese sind dort gern gesehen. Es ist aber natürlich wie immer, wie zum Beispiel auch in Berlin: Wenn viele Touristen im Ort sind, freut man sich als Anwohner auch über ruhigere Zeiten.

Die polnische Alternative

Polen gilt als sicheres Urlaubsland. Da viele andere Urlaubsziele weggebrochen sind und als unsicher gelten, boomt die polnische Ostseeküste zurzeit. Das führt, ganz normal, auch zu steigenden Preisen. Wolf stellt die ernstzunehmende Frage, ob diese Entwicklung dauerhaft so weitergehen kann. Immerhin haben einige Tourismusunternehmen Steigerungen von über 50 Prozent jährlich zu verzeichnen, was die Gästezahlen anbetrifft. Es ist nicht auszuschließen, dass, wenn andere Urlaubsländer wieder attraktiver werden oder die Preise in Polen noch weiter steigen sollten, ein Einbruch kommen könnte. Allerdings punktet Kolobrzeg auch mit dem sanierten breiten Sandstrand; ein Strand, wie man ihn sonst nur in südlicheren Gefilden findet. Da können viele nahegelegene Alternativen nicht mithalten.

Aktiver Urlaub

Jogger waren vor zehn Jahren noch exotische Geschöpfe und wurden mitleidig aus den Autofenstern angeblickt. Heute ist das Laufen wie auch das Radfahren eine Bewegung, die völlig selbstverständlich ist. Schade ist da nur, dass Ideen wie die Revitalisierung von früheren Wanderwegen erst einmal in der Schublade verschwunden sind.

Von billig zu hochwertig

Fast unmerklich hat sich ein Wechsel von Billiganbietern zu hochwertigen Anbietern ergeben. Gab es vor zehn Jahren eigentlich kein Modegeschäft mit neuen Artikeln (nur Second Hand) in Kolobrzeg, so ist es heute umgekehrt: Teure Mode findet man überall, teure Einkaufszentren ebenso; günstigere Artikel sind schwerer zu bekommen. Das ist den Touristen aus Polen und anderen Ländern zu verdanken, für die Einwohner aufgrund der immer noch geringen Löhne aber ein Problem. Auch in den Hotels und bei den Touristikunternehmen haben Projekte wie „Qualitätssteigerung bei angemessener Preissteigerung“ gewirkt. Die Bezeichnung „Ostseebad Kolberg“, die das Unternehmen Carsten Wolfs einführte, bringt diese Veränderung zum Ausdruck.

Jüdische Geschichte

Intensiv hat sich Wolf auch auf dem Unternehmensblog (siehe http://www.polnischeostseekueste.de/) seiner Firma mit der jüdischen Geschichte der Stadt auseinandergesetzt und ist dabei auf viele überraschende Aspekte gestoßen. So wurde das Kuren im professionellen Sinne von einem jüdischen Kaufmann etabliert, zunächst nur für Menschen der gleichen Religion. Später förderte er aber auch ein weiteres Kurhaus für Angehörige anderer Religionen.

Auch der wohl berühmteste Sohn der Stadt ist vor Ort fast unbekannt: Der Sexualforscher Magnus Hirschfeld. Man kann mutmaßen, dass dies auch mit dessen Homosexualität zusammenhängt.

Die Zukunft

Auch in Zukunft prognostiziert Wolf weiter großes Interesse von Urlaubern aus Deutschland an Kolobrzeg, wenn auch nicht mehr mit den Wachstumsraten der vergangenen Jahre. Zum einen können kaum mehr neue Hotels gebaut werden, auch aufgrund von Naturschutzauflagen in Polen. Zum anderen zieht vor allem die Natur viele Menschen an. Probleme könnten aus der schweren Verfügbarkeit guten Servicepersonals in Kolobrzeg bereiten, die bereits erwähnten Preissteigerungen und die immer weiter steigende Autoverkehrslast. Unter anderem deshalb überlegen Veranstalter wie der von Carsten Wolf, auch eine Linienverbindung per Bus aufzunehmen, solange die Bahn keine attraktiven Angebote bereitstellt. Denn es hat sich auch in Kolobrzeg herumgesprochen, dass viele potenzielle Gäste aus Berlin kein eigenes Auto haben.

Situation der Bewohner

In der abschließenden Diskussion spielte natürlich auch die Politik eine Rolle, vor allem im Kontext mit der Lebenssituation der Menschen in Kolobrzeg. Denn diese stehen vor dem Problem steigender Preise bei kaum steigenden Löhnen. Parteien, die hier Ausgleich versprechen, erhalten naturgemäß Zustimmung. Das kann zu einem Teil die jüngste politische Entwicklung erklären.

Auch gemeinsame Projekte sind weiterhin erstrebenswert. Trotz der vielen positiven Veränderungen in Kolobrzeg in den vergangenen zehn Jahren ist die Partnerstadt Berlin auch wirtschaftlich ein wichtiger Partner. Daher sollten Projekte wie Jugendbegegnungen, Seniorenbegegnungen oder Sportprojekte und Vorhaben wie die Revitalisierung von Wanderwegen weiterhin verfolgt werden. Damit hat unser Referent Carsten Wolf einige spannende Themen für unseren Verein platziert.

Wir bedanken uns für den hervorragenden Vortrag und die spannende Diskussion beim Referenten und allen Teilnehmern, die im Stadtteilzentrum Pankow zu Gast waren.